Unsere Leichen leben noch
Deutschland 1981
Produktion: Rosa von Praunheim / HR
Regie & Schnitt: Rosa von Praunheim
Kamera: Stephan Köster
Buch: geschrieben v. d. Darstellern nach einer Idee von Rosa von Praunheim
Musik: Hans Wittstadt, Chopin
Darsteller: Lotti Huber, Inka Köhler,
Luzi Kryn, Maria Christiana Leven, Madlen Lorei, Helen & Pat Adam, Rosa von Praunheim Laufzeit: 90 Min., Farbe
EA: 30.10.81, Intern. Hofer Filmtage
TV: 9.5.83 in der ARD
Verleih: Basis-Film
Unsere Leichen leben noch
Keine zwei Wochen mehr bis zur Eröffnung der Foto-Ausstellung »Die Frau der dreißiger Jahre« in einer berliner Galerie. Lotti Huber beherbergt vier Frauen, deren Lichtbildmaterial Exponat geworden ist. Die fünf Frauen, alle über sechzig, plaudern, erzählen aus dem Leben, trinken, kiffen, schlafen und werden von Rosa von Praunheim in einen grotesken Krimi verwickelt.

Als liebestoller Polizist läßt er die Hosen fallen. Doch schließlich wird er als Täter von fantasievollen Mordversuche entlarvt. Die Frauen, während des Films in Stimmung geraten, fallen am Ausstellungsabend über ihn her und stimmen ihr Kampflied an: »Wir sind vital und wild und klug und schön und sexy voller Glut .../Unsere Leichen leben noch, unsere Körper sind noch warm./Unsere Leichen leben noch, tragen den Kopf nicht unterm Arm.«
Lotti Huber weiß mit ihren Augendeckeln zu klappern, daß einem warm ums Herz wird. Die Zimmer hat sie für Gäste individuell und exzentrisch ausstaffiert. Die Dekoration macht alle Geschichten möglich. Und doch sind die vielen fantastischen Geschichten, die wir im Film erzählt bekommen, die reine Wahrheit. Der Film ist eine Selbst-Ausstellung der Frauen, welche sichtlich am Leben sind. Lotti Huber ist Jüdin, war im KZ, kam nach Palästina, arbeitete in Kabaretts, heiratete mehrere britische Offiziere, wurde mit ihrem Lokal auf Zypern bekannt, übersetzt heute in Berlin Bücher, lebt vom Zimmervermieten, vom Handlesen und der Filmstatisterie.
Madlen Lorei war als Lesbierin während der Nazizeit genötigt, Berlin zu verlassen und nach Frankfurt zu ziehen. Den ehrenvollen Vorschlag, dort nach 1945 als Stadtabgeordnete der CDU zu kandidieren, lehnte sie ab und machte sich einen Namen als Kriminalreporterin. In den 50er Jahren schrieb sie Kriminalromane. Eine Pistole hatte sie schon besorgt, um sich und die Freundin zu erschießen.

Maria Christiana Leven, trat in den 30er Jahren als Solotänzerin auf. 1943 wurde sie von der Gestapo festgenommen und der Spionage verdächtigt. Sie wurde einem erniedrigenden und demütigenden Verhör unterzogen und ist heute noch auf der Suche nach dem »Ungeheuer. In den 50er Jahren machte sie das erste Künstlerlokal Frankfurts auf, und schmiß jeden Gast raus, der Minderheiten angriff. Sie ist leidenschaftliche Humanistin.
Inka Köhler teilte die Begeisterung ihres ersten Mannes für Hitler und hätte sich für letzteren mit einer V 2 auf den Mond schießen lassen. Nach dem Krieg konnte sie allerdings das Engagement für die NPD nicht teilen und heiratete einen Antifaschisten, dem zuliebe sie ihre Schauspielausbildung aufgab und als Sekretärin arbeitete. Heute ist sie pensioniert und von jüngeren Männern umschwärmt. Luzi repräsentiert sich selbst. Leben und Beruf sind ihr eine Einheit. Sie arbeitet in der kieler Universitätsklinik in einem Institut für Vaterschaftsbestimmung. Sie hält die anderen Frauen nicht mehr aus, insbesondere da ein - bis dahin unbekannte Täter - Salzsäure in das Shampoo gemischt hat. Luzi verzweifelt: »Mein Verlobter wird mich nicht mehr lieben.«

Schwule Kritiker fanden den Frauenfilm »genial« (Olaf Stüben). Gitti Hentschel gab es auf, eine Kritik zu schreiben, und formulierte als Betroffene den Satz: »Muss da ein Schwuler kommen, der mir vor Augen hält, dass ich die Frauen in Klischees, die Norm presse.«

Schließlich streckte auch die Stuttgarter Zeitung die Kritikerwaffen: »Ein ganz und gar unmöglicher Film. Den muss man gesehen haben.«

»Praunheims Revolten gegen den guten Geschmack sind geradezu verteufelt human. Ihre Zuversicht will nicht in den heutigen Kram passen. Das ist das Perverse an ihnen.« (Der Spiegel)

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